Ein Gewerbegebiet nördlich von Hamburg. Rohstoffhändler schieben Schrott durch enge Lagerstraßen. Start-ups frickeln an Surfbrettern mit Jet-Antrieb. Und hinter einem knallroten Rolltor quietscht ein Gabelstapler zwischen riesigen Industrieregalen hin und her. „Ey, das ist hier keine Rennstrecke“, ruft Kai „Albi“ Albrecht durch die Halle. Albrecht, groß, Glatze, ist sauer. Seine Karre hat schlappgemacht, „und das kurz vorm Wochenende“. Die Ventile klappern, die Steuerkette schlägt aus, anscheinend hat sich das Nockenwellenlager verabschiedet, mutmaßt Kollege Peter Schmuck. Vielleicht muss er den kompletten Motor austauschen. „Na dann, gib Gas!“ Albrechts Schmuckstück ist mattgrau, mit schwarzen Flammen auf der Schnauze – aber nur zwei Meter lang und 70 Zentimeter hoch. Ein Auto im Schrumpfformat. Das Meisterstück der Firma Wenckstern. Ein echter Renner.
Die Idee dafür kam von ein paar Bier zu viel. Seit ihrer Jugend hatten Maik Wenckstern und sein Bruder Axel an Motorrädern oder Modellen des Lotus Super Seven geschraubt. Was fehlte, war etwas Verrücktes. „Ein tiefergelegter Rasenmäher mit Harley-Motor. Aber einer, der auch in der Stadt und auf der Autobahn fahren darf“, sagt Maik Wenckstern. Der Chef ist 56 Jahre alt, trägt weißen Bart und Turnschuhe. Noch heute hat er ein Glänzen in den Augen, wenn er von seiner Erfindung und den ersten Entwürfen spricht. Als Vorbild für ihren Traumwagen lassen sich die Brüder von einem 1932 Ford Revolver inspirieren – ein Hot Rod, ein aufgemotzter Oldtimer. Zweieinhalb Jahre tüfteln sie an der Konstruktion; an dem Material des Rohrrahmens und der Bodenplatte, damit sie Spurrillen und Schlaglöcher überstehen; daran, wie man Lenksäule, Motor und die Variomatik in die enge Karosserie bekommt; und an den Bremsschläuchen, der Zündspule, den Reglern und Kabeln, die dazwischen platziert werden müssen.
2008 stellen die Wenckstern-Brüder ihren Prototyp beim TÜV Nord in Hannover vor. Da, wo schon der Tesla und das Monowheel XO von KTM geprüft wurden. Mehrere Monate werden die Autos an Computern angeschlossen, die Elektronik gecheckt, sie müssen Schuss-, Bruch-, Fall-, Zug- und Feuertests über sich ergehen lassen. Fünf Modelle gehen dabei drauf. „Alles selbst zusammengeschraubt und lackiert“, sagt Maik Wenckstern, als würde er seinen Schätzen noch immer hinterherweinen. Dann, endlich, hebt der TÜV den Daumen: PKW mit Sonderzulassung, 154 Kilo leicht, 13,6 PS und 88 Stundenkilometer schnell. Dazu gibt es die Lizenz für die Produktion einer Kleinstserie.
Kein Jahr später eröffnet die Wenckstern Manufaktur in Norderstedt. Auf Drängen ihrer Kumpels arbeiten die Brüder auch ein Mietmodell aus. „Ich habe nie geglaubt, dass daraus was wird“, sagt der Chef. „Dann wurden wir vom Erfolg überrollt.“ Im Mai 2013 eröffnete der erste Verleih auf St. Pauli. Inzwischen gibt es Stationen in Berlin, Aachen, Nijmegen, Wien, in Ostfriesland und auf Mallorca. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Franchise bald auch auf Australien ausgeweitet. Rund vierhundert Autos haben die Mechaniker der Firma bisher gebaut, Einzelstücke für Privatleute und die weißen Standardwagen für die City-Touren. Bruder Axel ist ausgestiegen – zu viel Stress.
Erst vor Kurzem ist die Werkstatt in eine größere Halle gezogen, 400 Quadratmeter, mit eigener Druckerei für die neuen Klebefolien – und einem Showroom. Ein Mini-Bentley steht hier, British Racing Green, champagnerfarbenes Leder, ein täuschend echter Kühlergrill. Dazu ein Pick-up mit Ladefläche aus Holz. Außerdem ein Prototyp für ein Elektro-Modell, Reichweite: 85 Kilometer. „Wir haben auch schon einen Wagen mit Blattgold, Nubukleder und Lamborghini-Muster in den Polstern geliefert“, sagt Albrecht. Dann rollt er einen anderen Wagen heran, der aussieht wie ein alter Silberpfeil, mit Airbrush verziert und einer großen roten Zwei auf der Seite. Im Fußraum ist ein kleiner Extratank festgenietet, die Einspritzung für mehr Zunder im Tank. „Wie bei The Fast and The Furious“, sagt er und lacht laut. Eine Attrappe.
Ganz schön viel Show für so eine Seifenkiste, oder? „Seifenkiste“, dieses Wort hören die Jungs von Wenckstern gar nicht gern. Wo bleibt da der Respekt für ihre Rakete auf vier Rädern? Die Karosserien sind schließlich nicht aus Holz, sondern aus Glasfaser, ein Gelcoat sorgt nach dem Guss für eine spiegelglatte Oberfläche. „Kenner sehen sofort, dass unser Fahrzeug was Besonderes ist“, versichert Maik Wenckstern. Er meint die spezielle Halterung des Rückspiegels, der sonst bei voller Fahrt einfach aus der Karosse brechen würde. Meint die fehlenden Radabdeckungen und Federungen, das Luftleitblech, das den 1-Zylinder, den Tank und die Elektronik hinter dem Sitz mit Fahrtluft kühlt. „Bei der ersten Fahrt hat das Benzin gebrodelt wie Eierwasser“, erzählt er und fasst sich an den Kopf. Die Abluftöffnung fehlte. Learning by doing.
Maik Wenckstern
In der Montagehalle nebenan setzen die Kfz-Mechatroniker Peter Schmuck, Swen Eisenmenger, Marcus Plitt und Sascha Tarnosky die nächsten Wagen zusammen. Die Rückspiegel und Scheinwerfer bestellen sie bei Motorrad-Herstellern. Die Kombischalter für Licht, Blinker und Hupe werden sonst in Quads verbaut. Und die Reifen wurden eigens angefertigt, sie werden so aufgepumpt, dass sie auf den Hügeln im Schwarzwald genauso gut greifen wie auf dem Kopfsteinpflaster in Eschwege und den sandigen Straßen von Palma. 5000 Teile, alles in allem, Hunderte Arbeitsschritte. Eine Woche dauert es, bis ein Fahrzeug komplett montiert ist. Danach wird es vom Kollegen Marco Mielczarek mit einer Spezialfolie überzogen. Die gibt’s in jeder Farbe, kann mit allen möglichen Mustern und Motiven bedruckt werden und lässt sich leichter kleben und zuschneiden. Lackieren war gestern.
„Fahrwerk zusammensetzen, Teppiche kleben, Sterne in die Karosserie dremeln: Auch wenn vieles standardisiert ist, machen wir immer noch alles in Handarbeit“, erklärt Jan Rüchel, der sich neben Wenckstern um die Geschäftsführung kümmert, „und die Ersatzteile fallen bei uns nicht einfach so vom Band“. Er erinnert sich noch, wie bei den Wagen für Österreich die Windschutzscheibe fünf Zentimeter höher werden musste, „sonst hätte die Vignette nicht draufgepasst“. Gerade ist ein neuer Rahmen eingetroffen, der muss zügig montiert werden. Australien wartet auf das Testmobil. Und Albis Renner ist immer noch nicht startklar.
„Der Spaß ist trotzdem geblieben“, sagt Maik Wenckstern. Noch immer nutzen er und seine Freunde jede freie Minute, um mit ihren Hot Rods durchzustarten. Sie düsen dann nach Hamburg rein, kurven um die Alster, durch die HafenCity, vorbei an der Elbphilharmonie, hinein in den Containerhafen. Passanten winken und fotografieren. Polizisten strecken die Kelle raus, fragen, ob sie vielleicht auch mal fahren dürfen. Mit den kleinen Flitzern kann kein Ferrari mithalten. „An jeder Ampel spürst du den Rennfahrer in dir“, sagt Wenckstern und grinst. Gelb. Grün. Vollgas. Für seinen großen Traum reichen 88 Sachen.
Text: Laslo Seyda | Fotos: Verena Berg